Gertz, Urgeschichte

Jan Christian Gertz, Das erste Buch Mose (Genesis). Die Urgeschichte Gen 1-11 (ATD 1), 348 S., € 80,00, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2018, ISBN 978-3-647-57055-6

„Kurz zu lesen, aber reich zu untersuchen“ – mit diesem treffenden Statement von Ephraem dem Syrer über die „Erzählung vom Paradies“ leitet J.C. Gertz seine Kommentierung der Urgeschichte Gen 1–11 ein (S. 1). Tatsächlich ist dieses Unterfangen eine Herkulesaufgabe angesichts der jahrhundertelangen Auslegungs- und Forschungsgeschichte, die die Urgeschichte als zentraler Text der Bibel aufweist. Dennoch ist es absolut notwendig, diese bis heute religions- und kulturprägenden Texte immer wieder neu zeitgemäß zu kommentieren. Es ist dem ausgewiesenen Pentateuchforscher und Heidelberger Alttestamentler J.C. Gertz (G.) zu danken, diese Aufgabe im Wissen um ihre Herausforderungen übernommen zu haben und ihr mit wohlausgewogenen Urteilen gerecht zu werden. Nach einem kurzen Inhaltsüberblick fokussiert sich die Einleitung stark auf die Entstehungsgeschichte von Gen 1–11. In konzentrierter Weise fasst G. die ältere, neuere und neueste Diskussion zusammen, um sich dann entsprechend zu positionieren. Er geht im Wesentlichen von drei Stufen aus, die auch im Druckbild des biblischen Textes entsprechend kenntlich gemacht werden: die Priesterschrift (fett; frühnachexilisch; S. 9), die „ehemals selbständige Urgeschichte des weisheitlichen Erzählers“ (kursiv; mutmaßlich im 7. Jh. zu datieren; S. 15–16), schließlich Redaktion und weitere Zusätze (normal; nachpriesterschriftlich; S. 18). Die nachpriesterschriftliche Redaktion sei kein einheitlicher Vorgang gewesen, sondern bestehe in kleinräumigen Fortschreibungen im Nahkontext. Wie schon aus diesen wenigen Andeutungen deutlich wird, ist die Einleitung sehr konzentriert formuliert. Zwar ist der Schreibstil des Autors klar und verständlich, gleichwohl sind Vorkenntnisse über Methoden und Ansätze der Pentateuchforschung vorausgesetzt. Der letzte Abschnitt der Einleitung behandelt Texte aus den Literaturen des alten Vorderen Orients, namentlich das Gilgamesch-Epos, das Atramḫasis-Epos und das Marduk-Epos Enuma Eliš (S. 19–25). G. zeigt, dass mit einer Textkenntnis dieser Werke durch die biblischen Autoren zu rechnen sei, nicht jedoch mit einer klar fassbaren Textverwendung oder auch einer dezidiert polemischen Abgrenzung („Gegentexte“). Die zahlreichen Bezüge und Ähnlichkeiten dürften nicht den Blick dafür verstellen, dass die „historische Individualität der biblischen Urgeschichte … in ästhetischer wie theologischer Hinsicht nicht bestritten“ werden könne (S. 25). Die eigentliche Kommentierung beginnt auf S. 26 und folgt einer weitgehend einheitlichen Struktur: (1) Präsentation einer neuen deutschen Übersetzung des masoretischen Texts mit Fußnoten zur Textkritik und Textüberlieferung sowie zu Übersetzungsschwierigkeiten; (2) literarkritische Analyse; (3) Aufbau (Struktur und Form des Textes) bzw. Kontext; (4) Entstehung (Literarkritik, Redaktionskritik); (5) Gattung (literarische Gestalt); (6) Einzelauslegung Vers für Vers; ggf. noch (7) „Nachwort“ bzw. weitere Punkte. Das „Nachwort zum Schöpfungsbericht der Priesterschrift“ betont, dass Gen 1,1–2,3 keine polemische Abgrenzung von bzw. kein Gegenentwurf zu Texten der Umwelt (z.B. Enuma Eliš) sei, sondern „einen spezifischen Beitrag des spätexilischen oder frühnachexilischen Israel in einer auch andernorts geführten Debatte“ darstelle (S. 77). – Bei Gen 2,4a ist bemerkenswert, dass es mittlerweile als „Stand der heutigen Forschung“ bezeichnet wird (S. 80), diesen Versteil als Überschrift zu Gen 2,4-3,24 zu deuten (S. 80). Gen 2,4a selbst wird von G. entstehungsgeschichtlich zur „Redaktion“ gerechnet (s. S. 83;91–93), die hier den priesterschriftlichen Textbestand der Urgeschichte mit der in Gen 2,4b einsetzenden Urgeschichte des weisheitlichen Erzählers verbinden wolle. – So könnte man noch auf viele wertvolle und bedeutsame Einzelheiten der Kommentierung eingehen, doch dafür fehlt hier der Platz. Der ATD-Kommentar von G. hat den Rang und die Qualität eines Standardwerkes, auf das Forschung und Auslegung stets mit Gewinn zurückgreifen werden.